Eine kleine Geschichte des Offroad-Rads (Teil 3)

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Von den 1970ern bis 2000 und die Erfindung des Mountainbikes

In einer Situation, in der das Strassenrennrad das Fahrrad der Zeit war, entwickelte sich mit dem Mountainbike der heute wohl prominenteste Velotyp, der spezifisch für die Fahrt abseits der befestigten Wege gebaut wurde. Die etablierte Geschichte lautet, dass das Mountainbike in den späten 1970er Jahren von einigen Hippies in Kalifornien erfunden wurde.

Fünf stolze Besitzer von „Clunkers“ (Schwinn Excelsior), 1976
Quelle: Charlie Kelly‘
s Homepage
(Für die Verwendung von diesem und den weiteren Bildern danke ich Charlie Kelly)

Doch die diversen Cliquen aus den Tälern rund um den Mount Tamalpais waren nicht die einzigen, die mit dem Velo in die Berge gingen oder ihrem Rad ruppige offroad-Strecken zumuteten. In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde in den 1970er Jahren von Colorado bis Kalifornien unabhängig voneinander mit Offroad-Rädern experimentiert. Auch wenn eine erste fruchtbare Wechselwirkung zwischen verschiedenen Gruppen sich ausgerechnet 1974 an einem Cyclocross-Rennen ereignete, entwickelten sich die späteren Mountainbikes nicht aus den Querrädern, sondern aus alten „Balloon Tire Bicycles“ aus den 1930ern. An den unterschiedlichen Orten kam man offenbar zur selben Schlussfolgerung, dass sich diese alten Rostlauben [„Clunkers“] aufgrund der breiten Reifen, den robusten Rahmen, dem langen Radstand und dem hohen Tretlager besonders gut für den Offroad-Einsatz eigneten.

Vom Schwinn „Clunker“ bis zum ersten speziell angefertigten Mountain Bike von Joe Breeze, 1979
Quelle: Charlie Kelly’s Homepage

Nicht nur das Radquerrennen von 1974 regte zu Imitationen und Adaptionen an, auch personelle Verflechtungen zwischen verschiedenen Gruppen in Marin County liess das Wissen über erfolgreiche Experimente zirkulieren. In einer losen Gruppe trafen letztlich verschiedene Entwicklungen und soziale Milieus zusammen, was sich für die Entstehung der heutigen Mountainbikes als entscheidend erwies. Einzelne, besonders engagierte und geschäftstüchtige Mitglieder dieser Gruppe erhielten weltweite Anerkennung für die Erfindung und die Popularisierung des Mountainbikes: Joe Breeze, Gary Fisher, Charlie Kelly oder Tom Ritchey haben sich mit ihren Namen in das globale Moutainbikegeschäft eingeschrieben. Seit einigen Jahren macht die Mountainbike Hall of Fame auch auf bisher weniger bekannte Pionierinnen und Pioniere aufmerksam und ehrt sie für ihren Beitrag zur Entwicklung des modernen Mountainbikes.

Pionierin und Pioniere des modernen Mountainbikes, 1977
Quelle:
Charlie Kelly’s Homepage

Gleichzeitig waren diese Personen Teil der Gegenkultur der Flower Power Zeit. Dadurch konnte sich das Mountainbike in einer Nische vergleichsweise ungestört entwickeln und unabhängig von sozialen Kontrollmechanismen aufblühen. Ein wichtiger und in der bisherigen Geschichte des Mountainbikes kaum berücksichtigter Faktor könnte der Umstand gewesen sein, dass in der kalifornischen Gegenkultur auch die ersten Umweltschutzideen zirkulierten. Nach Joe Breeze und Charlie Kelly war zwar die Freude an schnellen Abfahrten die primäre Motivation für ihre Tüfteleien und die Dowhnhill-Rennen auf der Repack-Strecke waren der Magnet, der eine lose Gruppe regelmässig zusammenbrachte. Dennoch haben mir beide versichert, dass auch ökologische Überlegungen zu jenen Gründen gehört haben, weshalb die individuellen Mitglieder überhaupt zum Radfahren gekommen sind. Joe Breeze beschreibt sowohl die Anziehungskraft des Velos als utilitaristisches Fahrzeug als auch ein Interesse an der persönlichen und ökologischen Gesundheit als die zentrale Verbindung, die die Gruppe zusammenhielt. In Marin County herrschte damals seit längerer Zeit ein besonderes Umweltbewusstsein weshalb es, so Joe Breeze, rückblickend selbstverständlich scheinen mag, dass das Velofahren (und später das Mountainbiken) dort populär geworden sind.

Der Mountainbike-Pionier Charlie Kelly auf der Repack Downhill Strecke, 1976
Quelle: Charlie Kelly’s Homepage

Während in den USA das Mountainbike erfunden wurde, war in den Rennsportkreisen Europas noch immer das Querrad die Maschine der Wahl für die Fahrt abseits befestigter Strassen. Das Radquer war hauptsächlich als Sportdisziplin bekannt und zog wohl Zuschauermassen an, doch wurden die dabei verwendeten Rennräder kaum ausserhalb des Wettkampfkontextes eingesetzt. Mit seinem weltweiten Aufstieg verdrängte das Mountainbike jedoch das Cyclocross-Rad und die Radquerveranstaltungen wichen den Crosscountry-Rennen auf dem Mountainbike. Zuletzt schwang das Mountainbike oben aus und wurde 1996 eine olympische Disziplin. Nicht nur im Radsport setzte sich das Mountainbike durch, auch im Alltag etablierte sich das neue Offroad-Rad bei der breiten Masse. Einmal mehr versprechen dickere Pneus und eine aufrechtere Sitzposition ein angenehmes und sicheres Radeln. In den letzten Jahren ist das Mountainbike in der Schweiz beispielsweise, nach dem herkömmlichen Alltagsvelo mit Schutzblech und Packträger, der Velotyp mit den höchsten Verkaufszahlen geworden.

(Fortsetzung im Teil 4: 2000 bis heute und die Re-Erfindung des „Gravel Bikes“)

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